Besudelt

Philipp Landmark

Was wie ein Betriebsunfall in der Druckerei aussieht, ist «innovative Kommunikation»: Zum Verkaufsstart eines neuen Handy-Modells von Samsung wurde im Pendlerblatt «20 Minuten» nicht einfach ein biederes Inserat geschaltet, nein, die ganze Ausgabe wurde von der Werbeagentur Jung von Matt/Limmat gekapert. Das Produkt erinnert an das Altpapier, das Kleinkindern bei ersten Gehversuchen mit den Wasserfarben hinterlassen. Aber, aufgemerkt, liebe Banausen: Es handelt sich hier um eine «Designausgabe», um «Ikonographie»! Tatsächlich wird dieser Kniefall vor dem Inserenten als tolle Tat gefeiert.

https://www.youtube.com/watch?v=8IanbX6c280

Die Urheberin der Kleckserei, die Agentur Jung von Matt/Limmat, ist nicht einfach irgendein Werbebüröli. Hier werden oft Ideen ersonnen und umgesetzt, die zu den besten im Schweizer Werbe-Zirkus gehören. Kampagnen für die Migros oder die Post etwa, die mit Charme und Schalk ein paar Schlüsselbotschaften vermitteln.

Was ist die Botschaft für das neuste Samsung-Telefon? Uns sind die Farbchübeli umgekippt, weil wie beim Vorgängermodell der Akku explodierte? Auf Inhalte kommt es nicht an, aber bei Samsung sind sie wenigstens schön bunt? Es wird das Geheimnis der Werber bleiben.

Tragischer ist die Botschaft, die das Trägermedium selbst aussendet. «20 Minuten» lässt quer durch die ganze Ausgabe redaktionelle Inhalte in den Hintergrund rücken, ja zum Teil völlig unleserlich werden. Damit relativiert die Pendlerzeitung ihren eigentlichen Zweck. Die verschiedentlich geäusserte Beschwichtigung, «20 Minuten» nehme ja sowieso niemand ernst, ist Wunschdenken: Das Blatt hat in der Schweiz das grösste Publikum. Es spielt also sehr wohl eine Rolle, ob die Redaktion ihren Job ernst nimmt (tut sie eigentlich) und ob die Verantwortlichen ihr Produkt ernst nehmen (tun sie offensichtlich nicht).

Der Kollateralschaden dieses werbetechnischen Anything Goes beschränkt sich erfahrungsgemäss nicht auf die Gratiszeitung. Werber machen es sich gerne zum Sport, die Grenzen des Erlaubten auszureizen und Verlage dazu zu nötigen, einst allgemein gültige rote Linien kleinlaut auszuradieren. Galt früher ein glaubwürdiger redaktioneller Teil als ideales Umfeld für glaubwürdige Werbung, versuchen heutige «Kreative», diesen redaktionellen Teil als reine Kulisse für ach so lustige Ideen zu missbrauchen. Gerne werden den Verlagen dafür bereits publizierte Beispiele aus «20 Minuten» vorgelegt: Dort geht das ja auch!

Welches Blatt wird sich als nächstes besudeln lassen?

 

Nachtrag Juni 2018: Die «NZZ» hat in kurzer Folge gleich zwei Mal ihre Titelseite für Werbezwecke verkauft. Und die für die «Design-Ausgabe» von «20 Minuten» verantwortlichen Werber wurden dafür mit einem der höchsten Preise der Branche ausgezeichnet:

http://www.persoenlich.com/kategorie-werbung/mit-knalligen-farben-zu-silbernem-lowen